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Ein Interview mit einem indischen
Musikwissenschaftler:
Teil 3 von
3
Jens Egert: Könnten Sie eine
Erklärung über Improvisation in der indischen klassischen Musik
geben?
Ashok Ranade: Dies ist noch einmal eine umfassende Frage.
Ich kann wirklich nicht verstehen, wie sie erklärt werden kann. Man muss
einen Kurs besuchen und erfahren, wie improvisiert wird. Da Sie selbst Musiker
sind, wissen Sie worum es geht. Es kann wirklich nicht in dieser Art
erklärt werden.
J.E.: Irgendwie will ich darauf hinaus:
Einige Künstler sagen, 90 % sind vollkommen improvisiert. Ist es wirklich
eine Schöpfung auf der Bühne? Ist die Musik ganz neu?
A.
R.: Das Neue ist immer verbunden mit vielen zurückkommenden Dingen.
Wenn wir sagen, es gibt Improvisation, meinen wir, dass es eine stilisierte
Stimmung oder Atmosphäre gibt, in der eine Menge Raum für
Improvisation ist. Die Stimmung selbst wird nicht improvisiert. Was passiert,
ist, dass innerhalb der Stimmung improvisiert wird.
J.E.: Wie
würden Sie den heutigen allgemeinen Standard der indischen klassischen
Musik beurteilen?
A. R.: Hier sehe ich durchaus eine
Herausforderung und jeder möchte sagen, dass die Situation nicht zufrieden
stellend ist. Aber wenn wir immer nur denken, wie es früher mal war, ist
das Nostalgie. Die Leute sind fachkundig genug, aber sie sind ein wenig
voreilig, das ist alles. Es gibt genug Talente rundherum und ich bin ganz
zufrieden mit der Situation, aber wenn man sieht, dass Ihres Gurus Guru
und seines Gurus Guru sich über den Standard ihrer Zeit beklagt
haben, dann bedeutet es, dass dies nur eine Reaktion des Standards auf die
gegenwärtige Situation bedeutet. Sie sind nicht zufrieden und sie sagen
immer, dass die vergangenen Zeiten besser als die heutigen waren.
J.E.: Gibt es bestimmte Zentren musikalischer Aktivitäten
in Indien?
A. R.: Ja, z. B. die Instrumentalmusik, insbesondere
die Saiteninstrumente sind in Calcutta und Bengalen vertreten. In der
Hindustani Musik ereignet sich dort Einiges. Für Tabla und Khyal Musik ist
es Bombay und Maharastra. Ich denke nicht, dass Delhi viel zu bieten hat,
außer, dass es eine gute Ausgangsebene darstellt für viele Dinge,
die dort vorhanden sind.
J.E.: Meinen Sie als Start für
Künstler?
A. R.: Ja, sowohl viele Organisationen,
Musikwettbewerbe als auch Veranstaltungen und all dies.
J.E.:
Was ist mit Uttar Pradesh, Benares, Allahabad und Lucknow?
A. R.:
Benares, ja natürlich, Benares ist ein sehr starkes Zentrum, ebenso
Lucknow, aber irgendwie sind die Dinge in dieser Gegend nicht so gut
organisiert, das ist meine Auffassung, In Bombay sind die Dinge besser
organisiert.
J.E.: Meine persönliche Erfahrung ist, dass
Zuhörer in Caicutta eine aktive Rolle spielen und sich mehr in die Musik
einfühlen können als Zuhörer in Bombay, die eher indifferent
sind. Sie applaudieren, wenn der Musiker Tricks spielt, z.B. ein Flötist,
der lange Triller spielt oder ein Sänger, der seine Stimme sehr lang
aushält. Das bedeutet, dass sie indische klassische Musik nicht verstehen
in ihren Feinheiten und ihrer Schönheit.
A. R.: Wenn Sie
sich auf die größeren Konzerte beziehen, dann sind überall in
Indien die größeren Veranstaltungen die schlechtesten Orte, um
ernste Musik aufzuführen. Was die kleineren Konzerte anbelangt, ist das
Publikum in Bombay kritischer als sonst irgendwo in Indien.
J.E.:
Gilt das hauptsächlich für Gesang oder auch für
Instrumentalmusik?
A. R.: Für beide Gattungen. Es ist sehr
schwierig, sich die Gunst des Bombayer Publikums zu erwerben, weil Bombay der
Ort aller Stile und Gharanas ist.
J.E.: Gab es immer
Rivalität und Intrigen zwischen Musikern und welches sind die Gründe?
Es gibt viel Konkurrenz und sogar Hass. Musik sollte doch der eigentliche
Wegweiser und Maßstab sein.
A. R.: Dies ist ziemlich
romantisch, denn Musiker sind auch Menschen und sie neigen zu Eigenlob,
Vorlieben, Hass und Liebe. Aber was außer der Musik passiert, sollte
nicht unsere Angelegenheit sein. Tatsächlich wird diese Art von
schizophrener Persönlichkeit irgendwie von einem Musiker erwartet. Ich
teile diese Ansicht nicht vollständig, aber ich würde sagen, dass
solche Dinge passieren und das Verhältnis ist heute nicht
größer als es früher war, weder in Indien noch sonst wo.
J.E.: Man vergleicht die sieben Svaras (indische Tonsilben: sa
re ga ma pa dha ni) mit sieben Ozeanen. Kann jemand vollkommen werden?
A. R.: Nein, Perfektion ist auch ein Mythos, der immer bedacht
werden sollte. Sie muss erlangt werden. Aber ich denke nicht, dass jemand
Perfektion verlangt. Wir sehnen uns nach Kompetenz und in irgendeinem Stadium
mögen wir einen Schimmer der Vollkommenheit bekommen und das ist alles,
was wir wirklich erhoffen, Wir benutzen die Sprache immer dazu, die Fülle
der Möglichkeiten zu erhöhen und auch, um uns mehr zu stimulieren
für weitere Anstrengungen. So sind also sieben Svaras wie sieben Ozeane,
Ja man kann sagen, dass jeder Vokal in seiner Sprache auch wie ein Ozean ist,
denn so wie ein Dichter viele Wirkungen von einer besondere Silbe erhalten
kann, erhält der Musiker diese von einer Stimmung. Auf diese Weise gibt es
riesige Möglichkeiten und deshalb nennt man die Svaras auch sieben Ozeane.
J.E.: Es gibt keine Begrenzungen, indische klassische Musik hat
eine ungeheure Weite, dass man während eines Lebens nur einen kleinen Teil
davon ausschöpfen kann und jeder versucht, in seiner eigenen Art, sich
auszudrücken. Nun zur letzten Frage, Häufig betrachtet man indische
Musik als Mittel zur Selbstverwirklichung. Wie sehen Sie das?
A. R.:
Es war früher mehr eine Selbstverwirklichung, denn indische Musik war
tief verbunden mit der Metaphysik Indiens. Aber nun, da wir uns in die
industrialisierte Gesellschaft wagen, gibt es sehr wenig Musiker, die wirklich
an Spiritualität interessiert sind. Musik hat diese Möglichkeit,
nicht nur indische Musik. Jede Musik hat die Möglichkeit, spirituell zu
werden. Es hängt von der Einstellung ab, was der Musiker daraus
macht.
...
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